Rudimente sind Strukturen im Körper, die ihre ursprüngliche Funktion weitestgehend oder gänzlich verloren haben. Sie gelten als anatomische Überreste aus der Evolution, die einst wichtige Aufgaben hatten, heute aber meist oder zumindest in dem vorherigen Zusammenhang nicht mehr benötigt werden.
Rudimente zeigen den historischen Kontext der Anpassungen und wie sich Arten an Umweltbedingungen angeglichen haben.
Dabei können sie zum Beispiel auch nur noch in der Embryonalentwicklung sichtbar sein und sich im Verlauf der Entwicklung verfeinern oder zurückbilden.
Grundsätzlich können Rudimente in ihrer Ausprägung stark variieren, von fast verschwindenden Relikten bis zu Strukturen mit noch nützlichen, aber reduzierten Funktionen.
Manche Rudimente sind außerdem bei einer Spezies stärker ausgeprägt als bei der anderen.
Beispiele für Rudimente finden sich auch bei uns Menschen. Einige klassische Rudimente sind erhalten geblieben, oft in verkapselter oder reduzierter Form.
Zu den Strukturen, die ihre ursprüngliche Funktion weitestgehend verloren haben, gehören bei uns Menschen zum Beispiel die Weisheitszähne, die sogenannten 3. Molaren, deren ursprüngliche Funktion die Zerkleinerung harter Nahrung in frühspezialisierten Ernährungsformen war. Die Weisheitszähne passen häufig nicht mehr in die heutige, moderne Kieferarchitektur und müssen aufgrund entstehender Probleme nicht selten chirurgisch entfernt werden.
Auch unser Steißbein, Os coccygis, zählt zu den sogenannten Rudimenten. Der eigentliche Überrest eines Schwanzes hat im Verlauf der Evolution seine Funktion angepasst und dient nunmehr als Ansatzpunkt für Muskeln, Bänder und Sehnen des Beckenbodens und der Hüftgelenke, die für Stabilität und Beweglichkeit wichtig sind. Es stützt zudem das Körpergewicht im Sitzen zusammen mit den Sitzbeinhöckern. Im Laufe der Evolution hat sich die Funktion des Steißbeines also verändert und zu einer Unterstützung für die Beckenstruktur gewandelt.
Ein weiteres Rudiment stellt der Blinddarm, Caecum, dar. Als Teil des Verdauungstraktes unserer Vorfahren mit einer noch zellulosehaltigeren Ernährungsweise, spielt er heutzutage beim Menschen nur noch eine geringe Rolle, wenngleich seine Immunfunktionen nicht außer Acht gelassen werden dürfen. Bei vielen Tieren ist der Blinddarm allerdings nach wie vor wichtig im Kontext der Verdauung.
Auch die Überreste der sogenannten Nickhaut, dem dritten Augenlid, welches bei Tieren nach wie vor den zusätzlichen Zweck des Schutzes erfüllt, und die weitestgehend funktionslosen Ohrmuskeln, deren eigentliche Aufgabe, die Ausrichtung der Ohren war, sind zu den menschlichen Rudimenten zu zählen.
Der menschliche Greifreflex der Hände im Säuglingsalter gilt als Verhaltensrudiment. Er diente unseren Vorfahren dazu, sich an der Mutter festzuhalten. Der Fußgreifreflex, der bis zum Ende des ersten Lebensjahres bei uns Menschen in Erscheinung tritt, erinnert an das frühere Festhalten bzw. Fortbewegen an Bäumen.
Bei Pferden gelten zum Beispiel die sogenannten Griffelbeine als rudimentäre Strukturen. Sie haben keine erkennbare Funktion, man nimmt daher aufgrund der anatomischen Zusammenhänge an, dass die Pferde Vorfahren mit mehrstrahligen Extremitäten hatten.
Eine spezielle Form von Rudimenten stellen die sogenannten ´Atavismen` dar.
Dabei handelt es sich um wiederauftretende Merkmale, die bei den unmittelbaren Vorfahren bereits nicht mehr in Erscheinung getreten sind, bei den bereits weiter entfernten Vorfahren aber noch ausgebildet waren. Die entsprechenden verantwortlichen Gene sind also noch in der DNA vorhanden, werden aber normalerweise aufgrund des „Nicht-mehr-benötigt-werdens“ unterdrückt. In seltenen Fällen treten diese Merkmale dann zufällig doch noch einmal auf. Ein Beispiel für die Atavismen sind zusätzliche Brustwarzen beim Menschen, die auf einen früheren Säugetierzustand zurückgehen.
Wenn die jeweiligen Lebensumstände zu einer sukzessiven Anpassung bzw. Veränderung unserer anatomischen Gegebenheiten führen, dann lassen sich Visionen bzw. Spekulationen ableiten, wie unsere modernen Lebensgewohnheiten und die dementsprechende Anpassung an die veränderten Umweltbedingungen Rudimente begünstigen oder eliminieren werden.
So könnte es zum Beispiel durch eine Veränderung der Ernährungsform, bei der womöglich weniger Kaubedarf besteht, zu einer weiterführenden Kieferanpassung kommen und einer damit einhergehenden, gänzlichen Verkümmerung der Weisheitszähne.
Strukturen wie das Steißbein- bzw. Hüftgelenksreste könnten durch eine reduzierte Belastung oder Änderungen in der Fortbewegungstaktik weiter verkümmern.
Die geringere Belastung der unteren Gliedmaßen und der Beckenbodenstrukturen könnte ebenfalls zu Abschwächungen von Muskelgruppen im Beckenboden oder in der unteren Extremität führen.
Längeres Sitzen, eine veränderte Arbeitspositionen und Körperhaltung und die zunehmende Bildschirmarbeit könnten zu einer Verringerung der Belastung der Nackenmuskulatur führen. Wirbel- oder Muskelstrukturen, die heute noch aktiv sind, könnten noch mehr an Bedeutung verlieren oder verkümmern.
Unsere mäßige Fortpflanzungsrate und die damit einhergehende niedrigere Belastung bzw. Inanspruchnahme der perinealen Strukturen könnte eine geringere Ausprägung der unterstützenden Bänder oder Muskelgruppen hervorbringen.
Auch Gewebe, das integrierte sensorische Funktionen erfüllt, und damit Sinneszellen oder Reflexbahnstrukturen, die durch veränderte Umweltinteraktionen weniger gefordert sind, könnten in ihrer Aktivität abnehmen.
Die Faszination der Natur liegt letztlich genau in dieser Form der stetigen Wechselwirkung und Anpassungsleistung. Was keinen Sinn mehr macht wird aussortiert und durch das Benötigte ersetzt.
Nehmen wir uns doch ein Beispiel an der „Weisheit“ der Natur.
Lassen wir in unserem sich stetig wandelnden Leben immer wieder das Unnötige los und ersetzen es durch das für uns Sinnvolle! Eine Anpassung, die definitiv Zufriedenheit schafft!
Interessieren Sie sich in diesem Zusammenhang sehr gerne für unsere APP-Reihe, in der ausführlich auf unsere Anatomie, Physiologie und Pathologie eingegangen wird. Erfahren Sie zum Beispiel alles über die Sinnesorgane in
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c.hinterseher-Wissen!
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